Prof. Dr. Thomas Groth
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Institut für Pharmazie
Leiter der Arbeitsgruppe Biomedizinische Materialien
Herr Professor Groth, können Sie sich und Ihren beruflichen Werdegang bitte vorstellen!
Ich habe an der Humboldt-Universität zu Berlin Biologie mit der Spezialisierung Biophysik studiert und bin nach erfolgreichem Abschluss als Diplom-Biologe als wissenschaftlicher Mitarbeiter an das Universitätsklinikum Charité gewechselt. Dort gab es damals einen Lehrstuhl, der sich mit Biomaterialien für die Medizin beschäftigte. Biomaterialien sind alle Werkstoffe, die in der Medizin für Implantate, Wundabdeckungen, Nahtmaterialien, alle Arten von Schläuchen und Katheter bis hin zu Blutpumpen und künstlichen Organen für die Blutwäsche oder Herz-Lungenmaschine verwendet werden. Seit Beginn meiner Forschungsarbeiten zu Biomaterialien wollte ich verstehen, wie die Eigenschaften von Materialien Reaktionen von Zellen, Blutkomponenten und Geweben beeinflussen, um diese Kenntnisse zur Entwicklung von biomedizinischen Werkstoffen mit verbesserter Verträglichkeit für Patienten in verschiedenen Anwendungen nutzen zu können. Ich habe mich an der Charité mit der Wechselwirkung von Blutkomponenten mit Biomaterialien im Rahmen einer Promotion beschäftigt und dann am Institut für Biophysik der Humboldt-Universität meinen Dr. rer. nat. auf dem Gebiet der Biophysik verteidigt.
Einige Zeit nach Abschluss meiner Promotion bin ich an das Institut für Chemie des Helmholtz-Zentrums Geesthacht nach Teltow gewechselt, welches damals noch GKSS-Forschungszentrum hieß. Dort befasste ich mich als wissenschaftlicher Mitarbeiter und später Leiter der Abteilung Biomaterialien mit der Entwicklung von Polymer-Membranen für künstliche Organe. Diese Membranen stellen Schnittstellen zum Blut des Patienten dar, wie es bei der Blutreinigung durch die Hämodialyse der Fall ist, bei der Stoffwechselprodukte, Salze und Wasser herausgefiltert werden, was die Niere bei Gesunden macht. Auch hier spielte die Blutverträglichkeit der Polymer-Membranen eine wichtige Rolle für meine Forschungsarbeiten. Da wir am Institut für Chemie auch an der Entwicklung von Membranen und Bioreaktoren für bioartifizielle Leber- und Nieren-Ersatzsysteme arbeiteten, entwickelte sich bei mir auch das Interesse an der Gewebsverträglichkeit von Biomaterialien, was letztendlich das Spektrum meiner Arbeiten erweiterte. Ich habe während meiner Arbeit am GKSS-Forschungszentrum zum Thema der Charakterisierung der Biokompatibilität und Entwicklung von Biomaterialien mit verbesserter Verträglichkeit an der Universität Potsdam habilitiert.
2004 bin ich als Professor für Biomedizinische Materialien an die Fakultät für Ingenieurwissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg berufen worden und habe meine Arbeitsgruppe zunächst aufbauen müssen. Das war eine echte Herausforderung, denn es gab weder Büros noch Labore und die Lehre musste neu entwickelt werden. Die Ingenieurwissenschaften wurden jedoch einige Zeit nach Beginn meiner Tätigkeit geschlossen. Es war sehr erfreulich, dass die Kollegen der Pharmazie mich einluden, dorthin zu wechseln. Ich bin dann mit meiner Arbeitsgruppe Mitglied des Institutsbereich Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie geworden und habe diese Entscheidung nicht bereut, da wir mit verschiedenen Kollegen im eigenen Institutsbereich und im Institut eine sehr gute Zusammenarbeit etablieren konnten.
Ich baute eine Arbeitsgruppe mit dem Fokus auf intelligente Beschichtungen von Implantaten auf. Das hat einen pharmazeutischen Touch, denn wir entwickeln Beschichtungen, welche die Reaktionen des umliegenden Gewebes hinsichtlich Wachstum und Differenzierung von Zellen mit Wirkstoffen programmieren. Man kann damit beispielsweise Entzündungsreaktionen oder auch die Knochen- oder Knorpelbildung kontrollieren, was im Bereich von Implantaten und dem Engineering von Geweben interessant ist. Dabei spielen auch Zuckermoleküle eine große Rolle, die neben Eiweißen ebenfalls wichtige Funktionen in unserem Körper erfüllen. Wir haben überwiegend mit tierischen Zuckern, sogenannten Glykosaminoglykanen gearbeitet und in Kooperation mit Kollegen aus anderen Universitäten viele Arbeiten mit chemisch veränderter Zellulose durchgeführt, die den Eigenschaften von Zuckermolekülen, wie sie im Menschen vorkommen hinsichtlich ihrer Bioaktivität stark ähnelt.
In den letzten Jahren haben wir uns außerdem verstärkt mit der Entwicklung von Biotinten für den 3D-Druck und Hydrogelen beschäftigt. Hydrogele nutzt man vorrangig im Bereich des Ersatzes von Weichgewebe, um beispielsweise Knorpel zu regenerieren, aber auch für die Behandlung von Verbrennungen oder als Wundabdeckungen. Hier haben wir verschiedene Forschungsprojekte, die extern gefördert werden, vor allem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), aber auch über unsere Beteilung an der Doktorandenschule AGRIPOLY, deren Sprecher ich bin, und den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD).
Können Sie bitte Ihre Forschung einordnen – im internationalen und nationalen Maßstab?
Ich absolvierte bereits als Doktorand mehrfach längere Auslandsaufenthalte und erhielt damit meine Sozialisation in Richtung Internationalisierung. Die Arbeitssprache in meiner Arbeitsgruppe ist Englisch, da wir sehr viele ausländische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben. Historisch gesehen kommen einige aus dem Kurs „Pharmaceutical Biotechnology“, aber viele haben sich auch extern beworben und erhielten vom DAAD Promotionsstipendien. Vor einigen Jahren hatte die Pharmazie einen Kooperationsvertrag mit syrischen Universitäten, in dessen Rahmen ich vier Diplomstudierende aufgenommen hatte, die alle erfolgreich diplomiert haben. Einer ist nach Heidelberg gegangen, aber drei sind bei mir geblieben und promovieren bzw. haben es bereits getan. Wir hatten auch von der Europäischen Union finanzierte Marie-Curie-Stipendiatinnen in meiner Arbeitsgruppe und waren darüber hinaus an zwei größeren EU-Projekten beteiligt. Insofern ist meine Arbeitsgruppe sehr international aufgestellt und orientiert.
Auf nationaler Ebene wären da zunächst die Kooperationen hier am Weinberg Campus zu nennen, zum Beispiel mit Professor Jörg Kreßler vom Institut für Chemie oder Professor Karsten Mäder, dem Institutsleiter der hiesigen Pharmazie. Mit ihm haben wir ein gemeinsames DFG-Projekt erfolgreich abgeschlossen, in dem auch externe Partner vertreten waren. Mit der Arbeitsgruppe von Professor Andreas Langner am Institut für Pharmazie - speziell mit Christian Wölk, einem Habilitanden, der jetzt an der Universität Leipzig arbeitet – haben wir ein sehr gutes Kooperationsprojekt zur in situ Transfektion von Zellen durch Lipoplexe auf Implantaten. Auch mit Professor Markus Pietzsch besteht eine intensive Zusammenarbeit, die auch im Rahmen des internationalen Masterkurses Pharmaceutical and Industrial Biotechnology stattfindet, dessen stellvertretender Studiengangsleiter ich bin. Nicht zuletzt kooperieren wir sehr eng mit dem hier ansässigen Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen (IMWS). Sie sehen, das Netzwerk hier auf dem Campus ist vielfältig. Darüber hinaus arbeiten wir mit Kolleginnen und Kollegen an den Universitäten Göttingen und Dresden im Rahmen von DFG-Projekten zusammen, wobei es dort vor allem um Zellulose-Derivate und deren Anwendung für medizinische Zwecke geht.
Zum internationalen Kontext meiner Arbeit wäre noch zu erwähnen, dass ich lange Jahre Mitglied des Vorstandes und später auch Präsident der European Society for Artificial Organs war. Das hatte viel mit meinem Interesse an der Entwicklung von Membranen für künstliche Organe zu tun, aber in der Gesellschaft spielt auch das Tissue-Engineering eine große Rolle mit dem wir uns hier in Halle vorrangig beschäftigen. Es gibt auch eine Dachorganisation; die „International Federation for Artificial Organs“, welche die Zusammenarbeit zwischen den kontinentalen Gesellschaften für künstliche Organe in den Vereinigten Staaten, Japan und Europa unterstützt. Auch dort war ich zunächst im Vorstand und habe seit 2020 die Stelle des Sekretärs und Schatzmeisters übernommen.
Last but not least, gibt es das European Polysaccharid Network of Excellence (EPNOE). Dort bin ich mit meiner Arbeitsgruppe an der Erarbeitung eines Strategiepapier bzw. eine Roadmap für die Nutzung von Polysacchariden als nachwachsende Rohstoffe in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen beteiligt, wobei wir für den Teil zu deren Anwendung im medizinischen Bereich verantwortlich sind.
Generell kann man sagen, dass unsere Arbeit stark auf internationalen Kooperationen basiert. Wir arbeiten mit Forschenden aus verschiedenen europäischen Ländern zusammen, wie mit Kolleginnen und Kollegen in Spanien, z. B. mit Arbeitsgruppen in Valencia und Barcelona, mit der Universität in Braga, Portugal, mit Kollegen in Großbritannien und auch Bulgarien und Griechenland. Auch mit Arbeitsgruppen in China und in Russland hatten und haben wir projektgeförderte Kooperationen und Austausch von Personal. Wir haben somit ein sehr gutes internationales Netzwerk aufgebaut, was man an unseren Veröffentlichungen ablesen kann. Unsere Arbeitsgruppe war somit international immer sehr gut aufgestellt und unsere Forschung findet auch Anerkennung, was durch die häufige Teilnahme an internationalen Kongressen und durch die Zitationen unserer Publikationen ersichtlich ist.
Welche Vorteile sehen Sie am Campus für Ihre Arbeit? Was schätzen Sie am Weinberg Campus?
Ich schätze die sehr moderne Infrastruktur, die in vielen Bereichen auf höchstem Niveau ist. Auch wenn das Land Sachsen-Anhalt kein reiches Bundesland ist, so gibt es doch eine sehr gute Ausstattung. Das Gebäude der Pharmazie wird gerade rekonstruiert, was auch für meine Kolleginnen und Kollegen die Arbeitsbedingungen weiter verbessern wird. Nach meiner Berufung hatte ich zunächst Laborräume im Bio-Zentrum und bin dann in das TGZ III in sehr gut ausgestattete Labore umgezogen. Dort bin ich auch Mitglied des Interdisziplinären Zentrums für Materialwissenschaften geworden, wo wir beispielsweise lithographische Methoden zur Nanostrukturierung von Biomaterialien nutzen.
Man hat auf dem Weinberg Campus außerdem kurze Wege. Als Arbeitsgruppe kann man kann nicht alle Geräte vorhalten, die für kürzere oder auch längerfristige Forschungsvorhaben gebraucht werden. Aber es gibt immer einen guten Kontakt zu einer Kollegin oder einem Kollegen, bei denen Geräte genutzt werden können. Uns führt der Weg oft an das Institut für Chemie, wo sich die Spektroskopie befindet oder zur Medizin für die Untersuchungen von Zellen. Innerhalb der Pharmazie kann man bei Kollegen Mäder Partikel untersuchen, bei Professor Pietzsch Proteine aufreinigen. Wir haben das Fraunhofer IMWS Halle mit Herrn Dr. Schmelzer, mit dem wir eine sehr, sehr enge Kooperation betreiben. Nicht nur, weil Fraunhofer eine super Ausstattung bietet, sondern vor allem weil sich Interessen überschneiden, wie im Bereich des Tissue-Engineerings. Ich schätze am Campus nicht nur die kurzen Wege, sondern auch die insgesamt sehr angenehme und schöne Umgebung. Aber es gibt auch Dinge, die ich anders machen würde bzw. die ich mir wünsche.
Welche konkreten Wünsche und Verbesserungsvorschläge haben Sie?
Wir verfügen in unserem Gebäude im TGZ III in der Heinrich-Damerow-Straße über sehr gut ausgestattete Labore und Büroräume, aber mir fällt auf, dass es dort keine Sozialräume gibt. Ich hätte mir dort mehr räumliche Möglichkeiten, wie eine Teeküche gewünscht, die für MitarbeiterInnen als Treffpunkt für ungezwungene Diskussionen zur Verbesserung der Arbeitsatmosphäre und auch Kreativität beitragen können. Außerdem empfinde ich es immer noch als Manko, dass ich nicht weiß, wo ich zum Beispiel mit internationalen Gästen gut essen gehen kann. Seit einiger Zeit gibt es ein kleines Café (Hub Coffee) hier am Campus, aber für eine gehobenere Atmosphäre am Abend muss ich in die Innenstadt fahren.
Dennoch muss man sagen, dass in den letzten Jahren hier am Standort sehr viel passiert ist. So wurde die Mensa generalüberholt, eine neue Mensa wurde gebaut, das gesamte Gelände jenseits der Heideallee wurde weiterentwickelt – es hat sich sehr, sehr viel getan.
Noch eine Sache liegt mir am Herzen. Ich bin Biologe und wenn ich einen Spaziergang durch das Gebiet um den Campus herum mache, fallen mir Probleme mit der geringen Artenvielfalt auf. Wir haben zwar das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) hier vor Ort. Aber ich sehe hier am Standort bezüglich des Themas Biodiversität noch jede Menge Luft nach oben, vor allem wenn ich sehe, dass Grünflächen häufig gemäht werden. Es gibt Zeiten, in denen die Freiflächen voller Pflanzen und einigen Arten von Insekten, z. B. Hummeln, sind und kurz darauf muss man feststellen, dass die Blütenpflanzen durch das Mähen komplett verschwunden sind. Das bedeutet für die Insekten, dass ihnen die Nahrungsgrundlage entzogen wird und z. B. Hummelpopulationen es schwer haben, dann überhaupt zu überleben. Das ist leider ein generelles Problem in Deutschland, dass immer alles ordentlich aussehen muss und zu Lasten des Naturschutzes geht. Gerade die Städte werden aber immer mehr zum Rückzugsgebiet für Insekten und Singvögel. Ich verstehe, dass aus Sicht eines Landschafts-Architekten ein glatter Rasen wunderbar aussieht, aber gerade im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen der Umwelt mit Artenschwund und der Intensivierung der Landwirtschaft mit Einfluss auf die Randgebiete durch erhöhten Einsatz von Insektiziden, müssten diese Dinge unbedingt berücksichtigt werden.
(Das Interview wurde im August 2021 geführt.)
Prof. Dr. Thomas Groth
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
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E-Mail: thomas.groth@pharmazie.uni-halle.de
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