Prof. Dr. Gabriele Stangl

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Arbeitsgruppe Humanernährung
Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften

Prof. Dr. Gabriele Stangl

Frau Prof. Stangl, können Sie sich bitte kurz vorstellen und etwas zu Ihrem Forschungsschwerpunkt sagen!

Ich bin Ernährungswissenschaftlerin und habe an der Technischen Universität München Ökotrophologie studiert. Die Ökotrophologie wurde in den 60er-Jahren als interdisziplinärer Studiengang ins Leben gerufen. Weihenstephan war damals einer der wenigen Standorte in Deutschland, die diesen Studiengang angeboten haben. Seit 2004 habe ich die Professur für Humanernährung am Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg inne.

Mit unserer Forschung hier in Halle (Saale) decken wir ein breites Feld ab. Unsere Forschungsschwerpunkte beziehen sich thematisch vor allem auf Vitamin D und Proteine für die menschliche Ernährung, z. B. Proteine der Süßlupine oder aus Raps. Die Forschung ist zum Teil grundlagenorientiert, weist aber auch starke praktische und anwendungsorientierte Bezüge auf. Viele Forschungsarbeiten haben wir in den letzten Jahren im Rahmen von Förderprojekten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) durchgeführt.

Zwei BMBF-Projekte zu Lupinen-Eiweißen – es handelt sich dabei konkret um die Süßlupine – wurden von den Medien gut aufgenommen. Viele Verbraucher bringen die Lupine in Verbindung mit einer Pflanze, die man an Autobahnen sieht. Es war für die Öffentlichkeit überraschend, dass man die eiweißreichen Samen der Lupine auch essen kann.

Ein zweiter Schwerpunkt ist das Rapseiweiß, das bisher nicht in der menschlichen Ernährung vorkam, sondern ausschließlich für die Tierernährung verwendet wurde. Im Zusammenhang mit dem Rapseiweiß lief eine Human-Studie, die von der UFOP-Union zur Förderung von Öl- und Proteinpflanzen gefördert wurde. Die Studie war sehr interessant, weil die Raps-Proteine es von den gesundheitlichen Effekten wirklich mit Soja-Proteinen aufnehmen können und sogar teilweise vorteilhaftere Wirkungen zeigen.

Aktuell arbeiten wir zusammen mit der Hochschule Anhalt an einem BMBF-Projekt zum Thema Mikroalgen. Dabei geht es um die Identifikation neuer Mikroalgen-Arten als Rohstoff-Quelle für die Humanernährung. Das Projekt läuft noch bis Anfang 2021.

Wie unterstützen Sie Studierende und WissenschaftlerInnen bei Unternehmensgründungen?

Diese Gründungsunterstützung wird an der Universität mit dem Transfer- und Gründerservice umgesetzt. Das Thema ist bei unseren Studierenden aber leider noch nicht so populär. Vor drei Jahren kam Emilie Wegener, die Gründerin von Hülsenreich und eine meiner Studentinnen, mit ihrem Team auf mich zu und bat mich um Unterstützung. Seit Bestehen des Studienganges hier in Halle, also seit Anfang des Jahres 2000, war sie die erste mit diesem Anliegen. Emilie Wegener hatte ganz klare Vorstellungen von ihrem Unternehmen. Ich war am Anfang sehr skeptisch, wollte sie aber unbedingt unterstützen. So verfasste ich zunächst ein Unterstützungsschreiben und fuhr mit ihr zur Projektvorstellung bei der Investitionsbank Sachsen-Anhalt in Magdeburg.

Emilie Wegener hatte diese Vision und ich war ihre Mentorin im Rahmen der Unternehmensgründung. Es fanden regelmäßig Gespräche und Präsentationen statt, aber das Team von Hülsenreich wusste ziemlich genau, wo es hinwollte. Mittlerweile findet man ihre Hülsenreich-Produkte in vielen Supermärkten. Das ist eine tolle Gründergeschichte.

Um noch mehr Studierende mit dieser Geschichte anzustecken, wünsche ich mir für unseren Bachelor- oder Masterstudiengang ein Modul „Unternehmensgründung“. Ich glaube, dass viele Angst vor diesem Schritt haben und sich das nicht zutrauen. Vielleicht gäbe es die Möglichkeiten, dass man hier so etwas wie Best-Practice-Beispiele in die Lehre integrieren könnte.

Im Weinberg Campus Innovation Hub befindet sich das SCIDEA Lab „Ernährung & Agrartechnologie“, wo sich gründungswillige Studierende und WissenschaftlerInnen „austoben“ können. Das Lab ist mit einem so genannten Doppelschneckenextruder ausgestattet, mit dem man Prototypen erschaffen und in Formen und Rezepturen von Lebensmitteln experimentieren kann. Das Gerät ist allerdings nicht einfach zu bedienen, sodass hier immer auch wissenschaftliche Mitarbeiter aus unserem Institut unterstützen müssen.

Welchen Stellenwert hat Ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeit am Standort Weinberg Campus allgemein im nationalen und internationalen Kontext?

Die Forschungs- und Entwicklungsarbeit am Standort Weinberg Campus ist unter anderem die Basis für die Erstellung weiterführender Projektanträge und für nationale und internationale Kooperationen, z. B. unsere Kooperation mit dem chemischen Institut in Innsbruck im Bereich der Entwicklung eines Schnelltests zur Ermittlung der Vitamin-B12-Aktivität aus neuen Lebensmittel-Rohstoffquellen.

Welche Vorteile bietet heute die Arbeit am Weinberg Campus?

Grundsätzlich schätze ich an meiner Arbeit an der Universität die Freiheit des Forschens – das Scheitern inbegriffen. Generell ist es für die Stadt Halle (Saale) und den Forschungsstandort sehr gut, dass es eine Konzentration von Forschung und Wirtschaft im Technologiepark gibt. Andere universitäre Standorte in Deutschland, können solche Netzwerke nicht vorweisen. Bei wiederum anderen, wie der TU München, sieht es allerdings auch noch besser aus. Das ist vielleicht das Best-Practice-Beispiel in diesem Bereich.

Außerdem möchte ich noch einmal den Transfer- und Gründerservice der MLU hervorheben, der hier sehr unterstützend tätig ist. Das hat man sehr deutlich am Gründungsprojekt von Hülsenreich gesehen.

Was wünschen Sie sich aus Sicht der Forschung und aus ganz persönlicher Perspektive für den Weinberg Campus?

Ich wünsche mir noch mehr nationale Sichtbarkeit für den Technologiepark. Im Bereich der Lebensmitteltechnologie sollten wir noch mehr Kooperationspartner gewinnen, weil dort die größten Innovationspotenziale für den Ernährungsbereich liegen und uns in Halle die Ingenieurwissenschaftler fehlen. Außerdem sollten Anreizsysteme für potenzielle GründerInnen (z. B. durch zeitliche Entlastung aus der Wissenschaft; Motivation während der Studienzeit) geschaffen werden. Für unsere interdisziplinäre Forschung wünsche ich mir die noch intensivere Zusammenarbeit mit Experten völlig unterschiedlicher Fachrichtungen, damit Problemlösungsstrategien neu gedacht werden können. So sollten nationale und internationale Netzwerke mit Erfindern, Experten, Investoren und Pilotkunden entstehen und Modelleinrichtungen, in denen die entwickelten Produkte unter realen Bedingungen getestet werden können.

Fällt Ihnen eine Geschichte ein, die Sie mit dem Weinberg Campus verbinden?

Meine kleine Geschichte hat etwas mit dem vorhin beschriebenen Doppelschneckenextruder zu tun. Unsere ersten, noch sehr unfruchtbaren Versuche, ernährungsphysiologisch verbesserte extrudierte Pilotlebensmittel herzustellen, mündeten darin, dass wir uns ethisch verpflichtet sahen, auch die sensorisch eher missratenen Varianten zu verzehren.

Deutlicher ausgedrückt: Wenn man mit einem solchen Extruder experimentiert, entstehen viele, auch unförmigen, Chips. Und es hat uns leid getan, diese wegzuwerfen. So standen wochenlang Schüsseln bei uns am Institut herum und jeder wurde herzlich eingeladen zu kosten. Zum Teil waren diese anfänglichen Produkte alles andere als schmackhaft. Es wurden auch einmal Nudeln produziert. Unmengen, die dann auch zur Verkostung bei uns standen. Nicht ganz einfach zu bewältigen … (lacht)

(Das Interview wurde im August 2020 geführt.)

Prof. Dr. Gabriele Stangl

Prof. Dr. Gabriele Stangl

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