Prof. Dr. Andrea Sinz

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Institut für Pharmazie

Prof. Dr. Andrea Sinz

Frau Prof. Sinz, können Sie sich bitte kurz vorstellen und etwas zu Ihrem Forschungsschwerpunkt sagen!

Mein Name ist Andrea Sinz. Ich arbeite mit meiner Forschungsgruppe am Institut für Pharmazie der Martin-Luther-Universität auf dem Gebiet der Protein-Massenspektrometrie. Die Massenspektrometrie ist eine Methode, um geringste Mengen von Molekülen zu analysieren. Dabei verwenden wir eine spezielle Technik, die so genannte Cross-Linking-Massenspektrometrie, die ich in den letzten 20 Jahren, seit meiner Zeit als Post-doc in den USA, mitentwickelt habe. Die Massenspektrometrie eignet sich dazu, Proteinkonformationen, also die dreidimensionale Struktur von Proteinen, zu analysieren, aber auch um Protein-Wechselwirkungen aufzuklären. Die Wechselwirkung zwischen verschiedenen Proteinen kann sich zum Beispiel je nach Krankheitszustand ändern, sodass sie wichtige Erkenntnisse zur Krankheitsentwicklung oder zur Therapie zulässt.

Während der ersten Pandemie-Welle haben wir in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Halle (UKH) mit Hilfe unserer Methode Proben von COVID-19-Patienten analysiert. Dabei konnten wir Virusproteine in Gurgellösungen von Patienten nachweisen. Die Massenspektrometrie wäre somit eine Alternative zur momentan hauptsächlich verwendeten PCR-Technik.

Wie weit sind Sie mit der Entwicklung des Tests?

Bei den ersten Versuchen war es so, dass die Analysenzeiten sehr lang waren. Inzwischen sind wir bei reinen Analysenzeiten von fünf Minuten angekommen. Dazu kommt noch die Vorbereitungszeit von ungefähr einer Stunde; hier können allerdings viele Proben parallel bearbeitet werden. Aber ich denke, das sind relativ kurze Zeiten, wenn innerhalb einer Stunde ein valides Ergebnis vorliegt. In diesem Zusammenhang erarbeiten wir gerade gemeinsam mit einer hessischen Firma einen ZIM-Antrag (Anm. d. Red. ZIM – Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand) zu einem Projekt, in dem wir eine alternative massenspektrometrische Technologie entwickeln wollen.

Was wären die Vor- und Nachteile Ihrer Test-Methode?

Das Besondere ist, dass wir die Massenspektrometrie für den Test einsetzen. Vorteile ergeben sich vor allem aus der Sensitivität, also der Empfindlichkeit, und der Spezifität. Sie können wirklich genau sagen, dass die Proteine nur von diesen SARS-CoV-2-Viren stammen und nicht von den SARS-Viren, die 2003 aufgetreten sind, oder anderen Corona-Viren. Das ist ein großer Vorteil. Ein weiterer Vorteil ist, dass man schnell Mutationen erkennen kann.

Bei der Verwendung von Gurgellösungen entfällt außerdem der für viele Menschen unangenehme Abstrich. Das belegt eine Studie mit österreichischen Kindern, die ergeben hat, dass das Gurgeln für die Kinder angenehmer ist. Dabei sind die Sensitivitäten aus unserer Sicht ziemlich hoch. Das RKI (Robert-Koch-Institut) meinte zwar, dass Gurgellösungen weniger sensitiv wären als der Abstrich-Test, das kann ich momentan aber nicht bestätigen.

Nachteilig sind zunächst die hohen Beschaffungskosten für das Gerät. Allerdings ist der Kostenaufwand pro Analyse dann wieder relativ gering.

Welchen Stellenwert hat Ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeit am Standort Weinberg Campus allgemein im nationalen und internationalen Kontext?

Die Forschungsgemeinschaft auf unserem Gebiet ist national und international sehr gut vernetzt. Ich engagiere mich unter anderem als Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft der Massenspektrometrie (DGMS).

Ein Beispiel für die internationale Vernetzung ist die "Covid-19 Mass Spectrometry Coalition", welche zu Beginn der Corona-Pandemie von einer Kollegin aus Manchester ins Leben gerufen wurde. Ich bin dort Gründungsmitglied. In der Wissenschafts-Community entstand der Eindruck, dass man sich aktiv bei der Weiterentwicklung von Diagnostik und Therapie von COVID-19 einbringen sollte. Im Wesentlichen geht es hier um den Austausch von Protokollen und Methoden innerhalb der massenspektrometrischen Gemeinschaft, ohne dass wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen.

Diese Initiative war der Impuls für unsere Anwendung auf die Corona-Tests und die Analyse der Proben. Vor der Veröffentlichung in einem wissenschaftlichen Journal haben wir unser Protokoll sofort für die KollegInnen online gestellt, sodass sie in der Lage waren, das Verfahren ebenfalls anzuwenden.

Wie beurteilen Sie die Maßnahmen der Stadt Halle gegen die Ausbreitung des Virus?

Insgesamt finde ich den Weg gut. Man muss schon vorsichtig sein und die Maßnahmen gut abwägen. Vieles muss allerdings auch wissenschaftlich noch besser fundiert werden. Oft fehlt die wissenschaftliche Grundlage für bestimmte Maßnahmen. Insofern finde ich zum Beispiel die Re-Start-Studie der Universitätsmedizin enorm wichtig. Einfach nur um Erkenntnisse zu generieren, was ist überhaupt möglich bzw. nötig. Es weiß ja im Grunde keiner, ob der Mindestabstand von 1,5 m ausreichend ist oder nicht. Ich glaube, da ist auch leider viele Zeit verschwendet worden. Gerade in der Schule hätte man genau testen sollen, ob Kinder infektiöser sind als Erwachsene. Vieles deutet darauf hin, dass es nicht so ist.

Andererseits ist auch wichtig, dass der Schulbetrieb weitergeführt wird. Man kann die Verantwortung nicht einfach den Eltern übertragen. Am Ende geht das vor allem zu Lasten der Frauen, die zu Hause bleiben. So verfällt man ganz schnell wieder in die alten Rollenmodelle. Das habe ich mit Erschrecken wahrgenommen. Auch die soziale Ungleichheit ist in diesem Zusammenhang wieder stärker zu Tage getreten.

Welche Vorteile bietet Ihnen heute die Arbeit am Weinberg Campus?

Ich hatte im letzten Jahr ein Angebot der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, welches ich nach intensiver Überlegung abgelehnt habe. Letztlich spielten für meine Entscheidungen folgende Argumente eine Rolle: Zum Ersten genieße ich an der Uni Halle und damit am Pharmazeutischen Institut hier auf dem Campus eine großartige Freiheit der Forschung. Zum Zweiten verfügen wir über eine hervorragende technische Ausstattung und sind damit international auf jeden Fall kompetitiv. Und zum Dritten schätze ich die kurzen Wege zwischen den Wissenschaftseinrichtungen und anderen Kooperationspartnern, wie zum Beispiel Unternehmen vor Ort, bei denen einige meiner ehemaligen Doktoranden und Doktorandinnen arbeiten.

Spielt das Thema Unternehmensgründung bei Ihnen eine Rolle?

Tatsächlich hatte ich mich mit dem Gedanken einer Unternehmensgründung im Zusammenhang mit dem Thema Proteom-Analytik beschäftigt. Man könnte einen Service für die individuelle Analyse entwickeln, so wie es auch im Bereich der Genom-Analyse gemacht wird. Allerdings ist diese Idee momentan etwas in den Hintergrund getreten.

Was wünschen Sie sich aus Sicht der Forschung und aus ganz persönlicher Perspektive für den Weinberg Campus?

Für meinen Geschmack könnte es hier bei aller positiven Entwicklung des Campus‘ durchaus noch internationaler zugehen. In meiner Forschungsgruppe gelingt es uns, diese Internationalität mit vielen ausländischen Wissenschaftlern und Doktoranden zu leben. Das ist aus meiner Sicht extrem wichtig für den wissenschaftlichen und persönlichen Austausch.

Darüber hinaus finde ich, könnte auch die Interaktion zwischen den Arbeitsgruppen der Uni und den hiesigen Unternehmen noch intensiviert werden.

Fällt Ihnen eine Begebenheit ein, die Sie mit dem Weinberg Campus verbinden?

Meine erste Begegnung mit dem Campus fand im Jahr 2000 statt. Damals war ich noch in den USA, in Washington, D.C., und wollte zurück nach Deutschland. Deshalb bewarb ich mich auf Post-doc-Stellen in ganz Deutschland. Unter anderem stellte ich mich hier in Halle am Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie (IPB) bei Professor Dierk Scheel vor. Mein erster Eindruck von der Stadt Halle war damals nicht besonders gut, das muss ich zugeben. Ich dachte: „Hier komme ich sicher nicht wieder her.“ Ich ging dann nach Gießen, das allerdings – um es vorsichtig auszudrücken – nicht gerade zu den schönsten Städten Deutschlands zählt. Seit 2007 bin ich nun hier in Halle und es hat sich wirklich sehr viel getan. Ich lebe und arbeite sehr gern hier.

(Das Interview wurde im August 2020 geführt.)

Prof. Dr. Andrea Sinz

Prof. Dr. Andrea Sinz

Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg  
Institut für Pharmazie
Proteinforschungszentrum "Charles Tanford"
Kurt-Mothes-Straße 3a
06120 Halle (Saale)
Telefon: +49 (0) 345 55 25 170
E-mail: andrea.sinz@pharmazie.uni-halle.de